Böses Mädchen
Diffus. Ungeordnet. Keinerlei Vorstellung. Und was hatte er? Nicht viel, das war sicher. Ein Vorname, einen Nickname, ein Bild und das , was zwischen den Zeilen zu lesen und zu hören war. Angenehme, weibliche Stimme. Klare, deutliche Aussprache ohne Schnörkel und ohne tonale Verzierungen. Und doch. Es gab bei dieser Frau einen Ort, an den er nicht schauen konnte. Der Ort hieß: Warum.War es Liebe?
Nein, sicherlich nicht. Chat oder Internetbekanntschaften hatten seit jeher einen Grund oder einen Anspruch, aber fast immer die Halbwertszeit einer Stubenfliege. Sympathie vielleicht? Grundsätzlich schon, aber es war schon mehr als das. Vielleicht eine Art Seelenverwandtschaft? Nein auch nicht. Dazu gehört mehr. Animalische Anziehungskraft? Nein, auf jeden und auf keinen Fall. An der Anziehungskraft war schon etwas dran, dachte sich der untersetzte Mann in den Vierzigern, als er weiter an seiner Waffe arbeitete. Ein Colt Government, Kaliber 45. Nicht von der Stange, sondern liebevoll getunt. Satinierter Griff, die Handballensicherung deaktiviert ( Hilfsmittel für Schwachköpfe und Weichflöten), Commander-Hammer, Beavertail, Daumenstütze, vergrößerter Sicherungshebel, Mündungsfeuerdämpfer, Edelstahl- Federführung und innen polierter Schlitten. Sorgsam reinigte er die Waffe.
Der Mann war dermaßen mit diesem Stück Metall verwachsen, dass die Handgriffe einem Automatismus glichen. Und das gab ihm Gelegenheit, gedanklich abzuschweifen. Es war wie Urlaub, wenn seine Hände diese mechanischen Bewegungen ausführten, während sein rastloser Geist versuchte, die Wurzel des Übels in sich selbst zu finden. Tatsächlich. Wieder einmal ein Köder oder diesmal echt? Wie viele Frauen hatte er kennen gelernt, die schnell erfasst hatten, wie er tickt und was er mag. Wie viele Frauen hatten es, besonders als er jung und unerfahren war, geschafft, ihn mit der Einzigen Waffe zu erledigen, mit der er zu treffen war? Diese Waffe hieß F otze. Aber er war schnell dahinter gekommen. SM als Köder für scheinbar dicke Fische. Von wegen! Nach einer gewissen Zeit kommt auch der dümmste Aldi- Dom dahinter, dass er vorgeführt worden ist.
„Verhau mir bitte den Arsch“ Schon klar, her damit. Nach Monaten, bestenfalls, schwenkt das dann um.
“Hey, was ist mit Arsch voll?“ „Och nix, hatte Stress im Büro, und überhaupt ist nicht die Richtige Zeit dazu“ Aha. Nicht die Richtige Zeit also. Seltsam nur, dass das vor Monaten noch anders geklungen hatte. Nur war es da WICHTIG, und Madame nahm sich Zeit.
Oder seine Ex- Frau. Einer der Trennungsgründe war sein ständiges Gefühl der Lust und der Begierde. Als dann noch seine Neigung dazukam, war es aus. „Ich lasse mich nicht schlagen! Niemals!“
Tja dann. Ciao bella.
Letzte Woche musste er hören, dass seine Ex sich sehr wohl den Arsch versohlen lässt. Tolle Wurst. Soviel zu Frauen und niemals.
Mit einem scharfen, metallischen Klacken schoss der Verschluss nach vorn und schob eine Patrone in die Kammer. Sorgfältig sicherte der Mann die schwere Waffe und steckte sie zurück in sein Schulterhalfter. Einen Moment lang nestelte er an seinem rechten Hosenbein herum und förderte dann sein Back-up zutage. Eine 9mm Heckler & Koch. Man weiß ja nie… Während er sie zerlegte, schweifte seine Gedanken wieder ab. Frauen. Rudolph Curt hatte in letzter Zeit eine irreversible Laune, was Frauen und deren Verhaltensweisen anging. Und er mied sie. Nur nicht wieder reinfallen. Beziehung? Igittigitt...
Ficken, ja. Das war was anderes. Es gab genügend verheiratete Damen, die sich von einem potenten Hengst mal durch die Laken schubsen lassen wollten. Und es gab genügend Frauen, die ihre Neigung niemals ans Licht des Tages bringen würden. Entweder aus gesellschaftlichen Gründen oder aus emotionalen. Sie hatten niemanden, mit dem sie reden konnten. Und wenn diese Frauen sich dann endlich kurz vor Toresschluss dazu entschlossen hatten, ihre dunklen Phantasien auszuleben, gab es Männer wie ihn. Jemand, der bereit stand. Jemand, der Erfahrung hatte und nicht im Mindesten eine emotionale Relevanz herstellen wollte.
Und jetzt das. Diese Frau einzuordnen gelang ihm einfach nicht. Ein Albtraum. Ein Incubus.
Nein, das stimmt nicht. Incubi sind männliche Dämonen. Sie nähren sich von der Lebensenergie schlafender Frauen, mit denen sie sich nachts paaren. Wenn sich ein Incubus mit einer Frau paart, wacht diese während des f ickens nicht einmal auf und kann sich höchstens in Form eines Traumes an die Geschehnisse der letzten Nacht erinnern. Nein, das hier kam ihm vor wie ein Succubus. Ein weiblicher Dämon, der sich von der Energie schlafender Männer ernährt. Und irgendwie traf es auch zu, denn er wusste nichts über sie. Man könnte beinahe sagen, er schlief im Sinne von Unwissen. Unwissen und Unwesen, wie dicht diese Worte beieinander lagen… Selten hatten sie Kontakt. Zuerst via Mail, dann am Telefon. 234 Kilometer, führe mich nicht in Versuchung, unsteter Geist….
Und genau daher empfand er sie als anders. Andere Frauen spiegelten ihm, oder hatten ihm, entweder Mordserfahrung vorgespielt oder völlige Keuschheit. Beides sehr ungünstig, denn es kommt ja doch heraus. Die angeblich so super- erfahrenen entpuppten sich als, nun sagen wir freundlicherweise, weniger erfahren. Und bei den keuschen kam dann doch irgendwann die Wahrheit ans Licht. Die hier war ganz anders. Er war nicht verliebt und sie war es auch nicht. Aber es war mehr als Sympathie und mehr als Respekt. Sie erzählten sich Dinge und der Mann lebte ihr Leben in Teilen mit. Besonders den sexuellen. Und dennoch vermochte es diese Frau, ihren wahren Kern im Nebel der Charmanterie verschwinden zu lassen. Und das „warum“ war es, was den Mann zum Nachdenken veranlasste.
Sie wollte nur Spaß. Wollte Sex. NUR Sex. Keine Emotion, keine Verpflichtung, kein Anspruch, keine schlechten Nachgefühle. Wie würde T´Pol sagen? Gelegentliche Treffen zum zwecke gegenseitigen Lustgewinns. Für einen Mann eigentlich optimale Voraussetzungen. Und genau das war es. Es war zu optimal. Rudolph kannte Frauen. Nur so eine nicht, und das machte ihm Sorge. Sorge, mehr zu wollen irgendwann. Sorge, wieder auf den Leim zu gehen, wenn es denn so sein sollte.
Die Heckler&Koch war fertig. Aber er noch nicht. Er stand auf und ging ans Fenster. Sah auf die kahlen Bäume des toten Gartens. Sein japanischer Steingarten sah gar nicht mehr japanisch aus, sondern eher wie ein Haufen Steine nach einem Meteoriteneinschlag. Und mit derlei trübsinnigen Gedanken im Kopf konnte er wahre Schönheit in einem Arrangement wie diesem nicht hervorrufen. Daher ließ er es...
Dann fasste er den Entschluss. Er tippte nur zwei Buchstaben in sein Handy und schickte die SMS los. Es stand nur: JA in der Message. Tief atmete er durch, drehte sich um und nahm seinen schwarzen Mantel vom Haken. Stuka und Spitfire kamen angerannt und rieben ihre schnurrenden Köpfchen an seinem Bein. Er lächelte. Er liebte Katzen. Denn er war selbst eine. In gewisser Weise...
Im Büro lief zunächst alles wie gewohnt. Briefing mit allen, Verteilung der Kapazitäten. Dann die Einzelbesprechungen. Alle hatten hier Spitznamen. Das hatte seinen Grund. Es machte unangreif- und nicht- verfolgbar. „Shadow, kommen sie rein“
Der Chef. Klein, unauffällig und eher einem Bürokraten ähnlich, denn einem Sektionschef einer der geheimsten Organisationen Deutschlands. Er schob sich seine Brille auf die Nase und sah ihn mit seinen kleinen Schweinsäuglein an. Die Intelligenz, die aus diesen Augen sprühte, stand im krassen Gegensatz zu seinem unauffälligem Äußeren. „Schöner Mist, den sie da verbockt haben Shadow! Eine verdammte Sauerei ist das. Wie soll ich das dem Innenminister erklären, hm?“ „Keine Ahnung Chef. Am besten sagen Sie, Saddam ist schuld“
“Hören Sie auf mich zu verarschen Shadow. Nicht jetzt, nicht hier. Das ist nicht witzig. Die Person, die Sie zu bewachen hatten, ist in so kleine Stücke geplatzt, dass nicht einmal sein Zahnarzt noch feststellen könnte um wen es sich handelt!“ „Naja Chef, ich kann nichts dafür, wenn einer n Sprengsatz in seine Krawatte packt. War ne Premiere, das hats noch nicht gegeben.“ Ein winziger Blick seines Chefs auf den Bilderrahmen an der Wand. Kaum zu bemerken. Dort war die Kamera und auch die Mikrofone. Shadow wusste das. Und sein Chef wusste, dass er das wusste. Es sollte ein Signal sein, auch schauspielerisch den zerknirschten zu spielen. Denn die Zielperson war mittlerweile längst in Sicherheit. Shadow wusste das und sein Chef wusste das. Aber der Innenminister durfte das auf keinen Fall wissen. So verlief der Anschiss nach Plan und Shadow wurde nach Hamburg strafversetzt.
Personenschutz für eine Ingenieurin. Nicht irgendeine, nein. Sie hatte Pläne aus Shanghai mitgebracht, die so brisant waren, dass sie geschützt werden musste. Alles in allem ein Auftrag für Anfänger, aber der Schein musste gewahrt sein und solange sich seine Bezüge nicht negativ veränderten, ging er, wohin er befohlen wurde. Shadow wusste es gestern schon. Daher auch die Zweibuchstabige Zusage. Hamburg ich komme sollte das heißen. Bodyguard tagsüber und Abenteuer mit erhöhtem Risiko Nachts. Das würde ein Spaß werden…. Nun, wenn sein persönlicher Albtraum sich in Nichts auflöste, konnte er immer noch Arschlöcher totschießen. Das war zwar anstrengender, aber nichts desto weniger erfüllend. Besonders für das Opfer, wenn es mit 45ern gefüllt wurde...